Paargeschichten Beziehungen in der Bibel - 12 Dialoge
Aus:
Annegret Reitz-Dinse u. Hartmut Dinse
Paargeschichten Beziehungen in der Bibel – 12 Dialoge, S. 91-94
Neukirchen 2002
ISBN: 3797500416
Danach verließ Paulus Athen und kam nach Korinth und fand einen Juden mit Namen Aquila, aus Pontus gebürtig; der war mit seiner Frau Priszilla kürzlich aus Italien gekommen, weil Kaiser Klaudius allen Juden geboten hatte, Rom zu verlassen. Zu denen ging Paulus. Und weil er das gleiche Handwerk hatte, blieb er bei ihnen und arbeitete mit ihnen; sie waren nämlich von Beruf Zeltmacher. Und er lehrte in der Synagoge an allen Sabbaten und überzeugte Juden und Griechen. Als aber Silas und Timotheus aus Mazedonien kamen, richtete sich Paulus ganz auf die Verkündigung des Wortes und bezeugte den Juden, dass Jesus der Christus ist. Als sie aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er die Kleider aus und sprach zu ihnen: Euer Blut komme über euer Haupt; ohne Schuld gehe ich von nun an zu den Heiden. Und er machte sich auf von dort und kam in das Haus eines Mannes mit Namen Titius Justus, eines Gottesfürchtigen; dessen Haus war neben der Synagoge. Krispus aber, der Vorsteher der Synagoge, kam zum Glauben an den Herrn mit seinem ganzen Hause, und auch viele Korinther, die zuhörten, wurden gläubig und ließen sich taufen. Es sprach aber der Herr durch eine Erscheinung in der Nacht zu Paulus: Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden; denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt. Er blieb aber dort ein Jahr und sechs Monate und lehrte unter ihnen das Wort Gottes. Als aber Gallio Statthalter in Achaja war, empörten sich die Juden einmütig gegen Paulus und führten ihn vor den Richterstuhl und sprachen: Dieser Mensch überredet die Leute, Gott zu dienen dem Gesetz zuwider. Als aber Paulus den Mund auftun wollte, sprach Gallio zu den Juden: Wenn es um einen Frevel oder ein Vergehen ginge, ihr Juden, so würde ich euch anhören, wie es recht ist; weil es aber Fragen sind über Lehre und Namen und das Gesetz bei euch, so seht ihr selber zu; ich gedenke, darüber nicht Richter zu sein. Und er trieb sie weg von dem Richterstuhl. Da ergriffen sie alle Sosthenes, den Vorsteher der Synagoge, und schlugen ihn vor dem Richterstuhl und Gallio kümmerte sich nicht darum. Paulus aber blieb noch eine Zeit lang dort. Apostelgeschichte 18, 1-18
Für Deine Frau Prisca und für Dich, Aquila, wurde die Begegnung mit dem Apostel Paulus zu einem prägenden Erlebnis, das für Euer weiteres Leben einschneidende Folgen hatte.
Du stammtest ursprünglich aus Pontus, der Küstenlandschaft am Schwarzen Meer. In der Gesellschaftsordnung des römischen Reiches hast Du als ein Peregrinus, also ein Freigeborener gegolten. Mit Prisca lebtest Du lange Zeit in Rom. Erst kurz vor dem Eintreffen des Paulus in Korinth, im Spätherbst des Jahres 49 n. Chr., warst Du mit Deiner Frau aus Italien in die griechische Hafenstadt übergesiedelt. Dies geschah nicht gerade freiwillig, sondern hing mit einer antijüdischen Anordnung des Kaisers Claudius zusammen, aufgrund derer viele Juden Rom verließen. Dieser Schritt ist Euch vermutlich nicht leicht gefallen, denn Ihr hattet in Rom eine Zeltmacherwerkstatt, Euer Haus und vermutlich Freunde zurücklassen müssen. Zeltmacher waren eine wichtige Zunft in Rom, denn angesichts der hohen sommerlichen Temperaturen in der Metropole gab es großen Bedarf an Sonnenschutzvorrichtungen auf Straßen, Plätzen, in Theatern und für das Militär. Ihr konzentriertet Euch auf einen Kundenkreis, der für die Innenhöfe der römischen Privathäuser einen Sonnenschutz benötigte, auch um die Zisternen kühl zu halten.
Obwohl die meisten Zeltmacher als eher ärmlich galten, scheint es Euch wirtschaftlich gut gegangen zu sein. Es gibt Hinweise darauf, daß Mitarbeiter oder Sklaven in Eurer Abwesenheit die römische Werkstatt weiterführten. So gab es genügend Potential, in Korinth zügig eine neue Werkstatt aufzubauen.
Korinth war zu Eurer Zeit die Hauptstadt der Provinz Achaia, ein bedeutender Handelsplatz „zwischen zwei Meeren“, wie sie genannt wurde. Die angebliche Sittenlosigkeit Korinths war sprichwörtlich. Es war eine pulsierende Stadt, ein Umschlagplatz für Weltanschauungen, in der viele religiöse Gruppen für ihre Ideen warben.
Der Apostel hatte sich auf seiner Arbeits- und Quartiersuche an Euch gewandt. Er muß eine große Ausstrahlung gehabt haben, die ihre Wirkung auch auf Euch nicht verfehlte. Ihr nahmt ihn auf, zumal auch Paulus von Beruf Zeltmacher war. Die Ausbildung eines Rabbiners sah vor, ein Handwerk zu erlernen. Aber der Apostel fand bei Euch nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern auch wichtige Unterstützung für seine missionarischen Vorhaben.
Wahrscheinlich wart Ihr schon in Rom zum Christentum übergetreten, denn wir erfahren nichts über Bekehrungsversuche des Apostels.
Paulus blieb lange in Korinth, so lange wie nie zuvor in einer Stadt, in der er Menschen vom Glauben an Jesus Christus überzeugen wollte. Eineinalb Jahre lebte er in Eurem Hause.
Ich vermute, daß es eine bewegende Zeit war. Eine Zeit, angefüllt mit Gesprächen und Fragen, mit Diskussionen über den Glauben, über das Leben in der Gemeinde und ihre Ausgestaltung. Eine Zeit, die aber auch geprägt war von den Auseinandersetzungen um Paulus, die sich in Korinth vor allem mit der synagogalen Gemeinde entwickelten. Das führte sogar dazu, daß Paulus sich vor Gericht verantworten mußte. So ist es nicht überraschend, wenn wir erfahren, daß die junge christliche Gemeinschaft in Korinth sich schnell von der jüdischen Gemeinde trennte. Das lag möglicherweise auch daran, daß die meisten Christen der Stadt zuvor römischen Kulten anhingen.
Wie hast Du diese Zeit erlebt? Durch die Gastfreundschaft gegenüber Paulus legten Deine Frau und Du ein öffentliches Bekenntnis zum Christentum ab. Das war sicher nicht ohne Risiko. Aber das schien Euch nicht zu kümmern. Wart Ihr auch Anfeindungen von Seiten religiöser Gegner ausgesetzt? Musstet Ihr Nachteile für Euren Betrieb und für Euch persönlich durch Euer missionarisches Engagement fürchten?
Im Römerbrief dankt Paulus Euch beiden ausdrücklich für Eure Hilfe. Das zeigt mir, welchen Stellenwert er Eurer Hilfe und Eurer Begeisterung für die gemeinsame Sache beigemessen hat. Wart Ihr Euch immer einig und seid Ihr Euch immer sicher im Engagement für die junge Kirche und der Unterstützung des Paulus gewesen?
Es fällt auf, daß mehrfach der Name Deiner Frau besonders betont wird. Hattest Du Vorbehalte? War Dir das Risiko zu groß? War Prisca mutiger als Du? Hat diese aufregende Zeit Eure Zusammengehörigkeit als Paar gestärkt oder führte sie zu Belastungen?
Welche Rolle spieltet Ihr in der stetig wachsenden christlichen Gemeinde in Korinth?
Aus der Apostelgeschichte erfahre ich, daß Ihr nach relativ kurzer Zeit Korinth wieder verlassen hättet mit Paulus nach Ephesus reistet. Gerne würde ich die Gründe für diese Entscheidung erfahren. Es gibt Anzeichen dafür, daß Ihr in Ephesus ein Haus kauftet, in dem die neugegründete Gemeinde sich versammelte. Eure Zeltmacher-Werkstatt wurde zu einer Art missionarischer Basis-Station, die für viele Neugierige Anlaufpunkt für ihre Fragen und Hoffnungen war.
Auch habt Ihr Apollos, einen Mann aus Alexandria, aufgenommen, der – aus dem Judentum stammend – sich für das Christentum entschieden hatte und Euch bei der Verbreitung des Evangeliums unterstützte.
Später kehrtet Ihr nach Rom zurück. Wart Ihr Paulus von Korinth nach Ephesus gefolgt, so reistet Ihr dem Apostel jetzt in die Stadt, aus der Ihr stammtet, voraus. Die politische Lage in Rom hatte sich so weit stabilisiert, daß für Christen eine Rückkehr möglich war. Auch hier gründetet Ihr wieder eine Hausgemeinde.
Ich bewundere Euch: den Mut, die Zähigkeit, die Kraft und Phantasie, die es brauchte, an immer neuen Orten Eure Werkstatt wieder aufzubauen und in den Dienst einer großen Sache zu stellen. So habt Ihr durch Euer Engagement den Weg der christlichen Kirche im römischen Reich mitgeprägt. Euer Leben zeigt uns heute, welche Begeisterung das frühe Christentum geweckt hat und daß überzeugte und überzeugende Menschen wie Ihr viele andere für Euren Glauben zu interessieren vermochten. Darin bliebt Ihr uns Vorbild.